1. Biographisches

Minna Nicolai wird am 10. Oktober 1875 in Bleckendorf im Bördekreis Wanzleben geboren. Sie wächst in ärmlichen Verhältnissen auf; ihr Vater stirbt früh, und da die Familie offenbar auf sich gestellt war, werden auch die Kinder früh zur Arbeit herangezogen. Minna muß für sich selbst sorgen.

Näheres über die häuslichen Verhältnisse erfahren wir aus ihren Erinnerungen, als sie im Alter von 71 Jahren erzählt:

„Meinen Vater habe ich nicht gekannt. Er starb als ich drei Jahre alt war. Meine Mutter erhielt keine Unterstützung, und so mussten wir Kinder sehr früh mithelfen, unser Brot zu verdienen. Knapp aus der Schule entlassen, musste ich in Dienst bei fremden Leuten.“

Sie verfügt über die Kenntnisse, die Ende des 19. Jahrhunderts in Dorfschulen vermittelt worden sind. An der Verbesserung ihrer so erworbenen schulischen Kenntnisse arbeitet Minna Faßhauer bis ins Erwachsenenalter.

Wann sie nach Braunschweig kam, ist nicht bekannt.  Der erste amtliche Eintrag findet sich auf der Meldekarte von Georg Faßhauer, bei dem sie am 1. Oktober 1894 Wohnung nahm. Untervermietung war wegen des Zuverdienstes üblich.

Am 15. April 1895 zieht sie in die Ekbertstr. 1, in das Wohngebiet also, in dem viele Braunschweiger Fabrikarbeiter wohnen.

Nach mündlichen Überlieferungen von Zeitgenossen aus der Arbeiterschaft hat sie sich als Dienstmädchen verdingt und auch in der Konservenfabrik gearbeitet.

Der Stadtführer durch die Residenzstadt „Braunschweig um 1900“ weist auf die Bedingungen für Hauspersonal hin. Die Beschreibung läßt ahnen, daß Braunschweig in gutem Licht dargestellt werden soll:

Ebenfalls im Stadtführer wird über Lebensmittelpreise informiert, aber gleichzeitig wird ein kleiner Einblick in die Verhältnisse der Stadt gewährt:

Minna ist 24 Jahre alt als sie 1899 den Schmied Georg Faßhauer heiratet. Durch ihn lernt sie die gewerkschaftlich und politisch Aktiven in der Braunschweiger Arbeiter*innenschaft kennen.

Minna und Georg Faßhauer, undatiert, aufgenommen im Garten (zur Verfügung gestellt von Eva Voges, Enkelin)

Am 6. April 1899 ziehen sie in die Weststraße 45, die heutige Hugo-Luther-Straße. Am 22.10.1901 wird Tochter Lieschen geboren, die aber bereits im März 1902 verstirbt. Sie bekommen noch zwei Söhne: Otto wird am 19. Mai 1903, Walter am 29. Juli 1906  geboren.

1900, bzw. 1904 wechseln sie in der gleichen Straße in die Häuser Nr. 44, dann Nr. 46, bevor am 1. Oktober 1913 die Weststr. 12 ihr endgültiger Wohnsitz wird.

Ihre Nachbarn sind August Merges, Robert Gehrke, Reinhold Liesegang, Walter Römling, um nur einige zu nennen. Durch sie bekommt sie Kontakt mit weiteren Aktiven der Braunschweiger Arbeiterschaft wie Anna Beddies, Hermann Behme, Julius Bley, Hermann Bode, Paul Gmeiner, Hans Grimminger, Wilhelm Ludwig, Willi Steinfass, Hermann Wallbaum, Artur Krull, Walter Maaß, Paul Wunder, Walter Wehe, Rudolf Wiesener.

Mit diesem Personenkreis wird sie in die Geschichte Braunschweigs eingreifen. Mit ihnen ist Minna Faßhauer noch unter illegalen Bedingungen im 1907 gegründeten „Bildungsverein jugendlicher Arbeiter“ aktiv, der 1908 umbenannt wird in „Bildungsverein jugendlicher Arbeiterinnen und Arbeiter“. Grund war, daß 1908 ein Vereins- und Versammlungsrecht in Kraft trat, das endlich auch den Arbeiterinnen erlaubte, in ihren Vereinen politisch tätig zu werden.

Artur Krull sagt 50 Jahre später über sie: „In illegalen Zirkeln wirkte sie bereits vor dem Jahre 1908 in Frauenversammlungen. Als im Jahre 1908 das Verbot der politischen Betätigung aufgehoben wurde, war sie führend für die Frauenbewegung und die Partei tätig. Durch ihre Begeisterung für Freiheit und Frieden, durch ihr rednerisches Talent und ihre übrigen ausgezeichneten Eigenschaften wurde sie bald mit den Besten der Partei bekannt, und da sie keine Halbheiten duldete, schloss sie sich dem linken Flügel der Partei an. …“

Als die SPD der Bewilligung der Kriegskredite im Reichstag zustimmte, stellte sich Minna Faßhauer mit der Mehrheit der Braunschweiger Arbeiter*innenschaft auf die Seite Karl Liebknechts, der gegen die Bewilligung gestimmt hatte und wird 1916 Mitglied der neu entstandenen USPD.

1917 tritt sie dem Spartakusbund in Braunschweig bei, der sich aus dem linken USPD-Flügel formiert hatte.  Ihre politische Arbeit bestand unter anderem darin, den Einfluss der Spartakusgruppe in den Betrieben zu stärken und die SPD-Anhänger dazu zu bewegen, zur USPD überzutreten. Minna Faßhauer vertrat als Vorsitzende des spartakusorientierten Frauenklubs 1916/1917 ihre Haltung öffentlich. An den antimilitaristischen Kämpfen in Braunschweig hat sie hervorragenden Anteil. Dabei war sie ständiger Bedrohung ausgesetzt, denn der Kampf für den Frieden mitten im Krieg wurde schwer geahndet – bis hin zur Todesstrafe.

Minna Faßhauer war eine mutige Frau.